So radikal wie Helmut Kohl

Presse

Sahra Wagenknecht war in Lippstadt

Die Lokalpresse schreibt:

So radikal wie Helmut Kohl

Die Linke Sahra Wagenknecht fordert eine Umkehr in der Steuerpolitik. Partei will Energieversorgung kommunalisieren und beruft sich auf Verfassung

LIPPSTADT   Wie passend doch der Ort gewählt war: Ausgerechnet in jenem gastronomischen Betrieb der INI, der den Namen Kasino trägt, geißelte die Linke Sahra Wagenknecht jetzt bei ihrem Besuch in Lippstadt „Zockerei und Spekulationen“ in der Finanzwelt. Während sich der Staat zur Stabilisierung des Bankensystems mit 98 Milliarden Euro verschuldet habe, verbuche die Deutsche Bank wieder Milliardengewinne, kritisierte Wagenknecht am Donnerstag vor 70 Zuhörern einer Wahlkampfveranstaltung. „Es geht nicht darum, die Banken zu enteignen. Die gehören uns, weil sie ohne den Steuerzahler nicht gerettet worden wären!“ Bürgerschreck Wagenknecht? Nein, versicherte die Bundestagsabgeordnete auf Nachfrage eines Zuhörers, ihre Partei wolle weder den Bauern ihre Äcker nehmen noch kleine und mittlere Unternehmen verstaatlichen. „Ich bin in der DDR aufgewachsen, ich weiß, was das heißt: Das bringt gar nichts.“

Enteignungen fordere die Linke dort, wo die Konzentration von Eigentum politische Macht nach sich ziehe, insbesondere bei Energiekonzernen. Deshalb wolle man RWE und Eon kommunalisieren, ergänzte Spitzenkandidat Wolfgang Zimmermann. Er führte Artikel 27 der Landesverfassung an, in dem es heißt: „Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.“

Zudem solle in „strukturbestimmenden Großunternehmen“ durch Beteiligung des Staates oder der Belegschaft die Mitbestimmung gestärkt werden, fügte Sahra Wagenknecht hinzu. Woran die Linke denkt, erläuterte der Lippstädter Direktkandidat Michael Bruns unter Verweis auf das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen ein Vetorecht sichert. Ministerpräsident Christian Wulff sitze deshalb im Aufsichtsrat von VW, sagte Bruns und fuhr fort: „Der ist ja jetzt kein Kommunist.“

Wagenknecht warf der Konkurrenz „neoliberalen Einheitsbrei“ vor. Rot-Grün und die Große Koalition hätten die Körperschaftsteuer von 40 auf 15 Prozent und den Höchstsatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt, ohne dass Investitionen und Konsum gestiegen wären. „Die Linke ist die einzige Partei, die heute noch vertritt, was unter Helmut Kohl Realität war.“ Wenn die FDP Steuern senken wolle, profitierten davon Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen nur wenig - anders als die Partei das verkünde. Das liberale Modell entlaste eine alleinerziehende Krankenschwester mit einem jährlichen Bruttolohn von 15 000 Euro gerade einmal um 76 Euro im Jahr; dagegen blieben einem Ehepaar mit 200 000 Euro Einkommen unter dem Strich 3000 Euro mehr.

Die Linke setze daher auf die Formel „Öffentlich vor privat“, sagte Spitzenkandidat Zimmermann. Durch Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur wolle man in NRW 300 000 Stellen schaffen. Bis zur zehnten Klasse sollten Kinder eine Gemeinschaftsschule besuchen. Bildung solle von der Kita bis zur Uni beitragsfrei sein. Sozialtickets für Bus und Bahn sowie Sozialtarife für Strom und Gas sollten die Folgen von Hartz IV mildern. Die öffentliche Hand dürfe Aufträge ferner nur noch an Firmen vergeben, die nach Tarif und ökologischen Kriterien arbeiten.

Finanzieren will die Linke ihre Politik durch Steuererhöhungen für Wohlhabende und Unternehmen im Bund sowie durch die Einstellung von 500 neuen Betriebsprüfern im Land. Die allein, behauptete Zimmermann, könnten 500 Millionen Euro an hinterzogenen Steuern einbringen.

Quelle:
DER PATRIOT - Lippstädter Zeitung 03.05.2010
http://derpatriot.com/index.php?content=lokal_artikel&ID=ay-418099&RESSORT=LP