Drogenpolitische Steinzeit

Martin Rediker

Denkzettel für wen?

Leserbrief zu den Artikeln „Drogenexperiment ohne Folgen“ (03.11.09) und „Denkzettel für Marihuanakonsum“ (06.11.09) im Lokalteil Warstein der Zeitung „Der Patriot“/“Soester Anzeiger“.
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„Die Strafverfahren und Äußerungen des Richter Seel, - über die in Ihrer Zeitung am
03. und am 06.11.09 berichtet wurde, - sind für mich Ausdruck einer drogenpolitischen „Steinzeit“, die in Teilen unserer Gesellschaft, und insbesondere bei sehr großen Teilen der Justiz, leider immer noch vorherrschend ist.

Da werden junge Menschen, die niemanden geschadet haben, und insoweit auch gegen kein wirkliches Rechtsgut verstoßen haben, vor Gericht und damit in die Öffentlichkeit gezerrt!

Was wurde ihnen denn vorgeworfen, dass es rechtfertigen würde, sie mit einem Strafverfahren zu überziehen? (unabhängig davon, ob hier das normale Erwachsenenstrafrecht, oder Jugendstrafrecht zur Anwendung kam.) Und die dazu auch noch die meiner Ansicht nach anmaßenden Äußerungen des Richters Seel über sich ergehen lassen musten.

Sie sind lediglich ihrem privaten, intimen und ureigenen Bedürfnis nach „Rausch“ – oder auch Entspannung - nachgegangen, welches im übrigen so alt wie die Menschheit ist, und in allen Kulturen vorhanden ist.
Nur war ihr Mittel der Wahl diesbezüglich einmal nicht die allseits akzeptierte Droge Alkohol, sondern Cannabis als die hierzulande am weitesten verbreitete illegalisierte Substanz.

Und dies rechtfertigt ein Strafverfahren?

Ich will hier gar nicht in erster Linie darauf hinweisen, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen Cannabis eben keinesfalls „schädlicher“ oder unter gesundheitlichen und sozialen Aspekten bedenklicher als Alkohol ist; - bekanntermaßen ist eher das Gegenteil der Fall. (Dass es keine absolut „harmlosen“ Drogen gibt, ist natürlich auch mir bekannt.)

Ich möchte aber auf die unerträgliche Ungerechtigkeit und Doppelmoral der hierzulande praktizierten Drogen- und Justizpolitik durch das folgende Beispiel hinweisen, welches anscheinend der Betroffenen widerfahren ist, über die in dem Artikel am 06.11. berichtet wurde: Jemand der gelegentlich, oder auch regelmäßig Alkohol konsumiert ist nicht in der Gefahr, seinen Führerschein zu verlieren, sofern er nicht oberhalb des Grenzwertes von 0,3 Promille am Straßenverkehr teilnimmt; für jemanden der aber Cannabis konsumiert, ohne berauscht am Straßenverkehr teilzunehmen, existiert diese Gefahr aber sehr wohl immer noch, insbesondere bei jüngeren Menschen.

In einer Gesellschaft, in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbegleiter des Erwachsenwerdens sind, kann es nicht mehr um das Präventionsziel Drogenabstinenz mittels Strafrecht und dem Verteilen von „Denkzetteln“ gehen! Es kann allenfalls um das Erlernen eines eigenverantwortlichen, mündigen Umgangs mit Drogen gehen, wozu u. a. auch eine, - Vor- und Nachteile mit einbeziehende, - Substanzaufklärung gehört!

Denn, - bis auf wenige Ausnahmen, - wir alle konsumieren doch Drogen! Dies umfasst unseren Kaffee, unsere Zigaretten, das abendliche Bier oder Glas Wein, wie aber auch einen Joint! Und wir tun dies, weil es uns Spaß macht, uns entspannt, uns besser schlafen lässt, das Denken anregt, Kontakte u. U. erleichtert, usw.. All  dies ist eine Binsenweisheit! Nur, die Gebraucher illegalisierter Drogen werden grundsätzlich erst einmal kriminalisiert, diskriminiert und pathologisiert, mit allen negativen Begleitfolgen!  Insofern ist die herrschende Drogenpolitik schon seit langem gescheitert, denn sie verursacht weitaus mehr Schaden als sie vorgibt, durch ihr Tun zu verhindern.

Es wäre schön, - und ein erster Schritt hinzu einer positiven Veränderung, - wenn auch die Justiz sich dieser Erkenntnis öffnen würde!“

Martin Rediker, Lippstadt